wappen0.gif Die Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin
Gegründet in Berlin am 4. November 1809

Hegel-Studien


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Hegel-Studien

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HEGEL-STUDIEN







In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften



herausgegeben von




FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER






BAND 20


SONDERDRUCK



1985

BOUVIER VERLAG HERBERT GRUNDMANN - BONN

 


HEGEL UND DIE "GESETZLOSE GESELLSCHAFT"

Ein neu aufgefundenes Dokument,

mitgeteilt von Andreas Arndt und Wolfgang Virmond (Berlin)

Über Hegels Beziehungen zur "Gesetzlosen Gesellschaft" weiß man bisher durch ein Billet Hegels an LEOPOLD VON HENNING vom 13. 11. 1819 und aus den Festschriften dieser am 4.11.1809 gegründeten und noch bestehenden Berliner geselligen Vereinigung.1 Mit dem Billet lud Hegel v. HENNING auf denselben Tag ein, sein Gast in der Gesellschaft zu sein. Bei diesem Treffen kam es vermutlich zu dem bekannten Wortwechsel mit SCHLEIERMACHER, auf den der einzig erhaltene Austausch von Briefen zwischen Hegel und SCHLEIERMACHER vom November 1819 Bezug nimmt.2 HOFFMEISTER erwähnt, daß Hegel im folgenden Monat FRIEDRICH v. RAUMER als Gast in die "Gesetzlose Gesellschaft" mitbrachte. Die Mitnahme von Gästen setzte die Mitgliedschaft voraus; HOFFMEISTER vermutet, daß Hegel spätestens im März 1819 Mitglied der Gesellschaft wurde und regelmäßig an deren Zusammenkünften teilnahm.3

Im Besitz der "Gesetzlosen Gesellschaft" haben sich die Protokollbücher seit 1810 erhalten, die neue dokumentarische Belege für Hegels Verhältnis zu dieser Gesellschaft liefern.4 Darin finden sich die Mitgliederlisten mit den Eintrittsdaten sowie unter den jeweiligen Sitzungstagen die Namen der Gäste mit der Unterschrift des Gastes und des ihn einführenden Mitglieds. Anwesenheitslisten sind nicht erhalten. Die "Gesetzlose Gesellschaft" war eine zwanglose (darum "gesetzlose") Vereinigung von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Berlin, die in der Regel 14täglich zu Gesprächen bei Essen und Wein in einem Lokal zusammenkamen. Sie war durch den Altphilologen und Bibliothekssekretär PHILIPP BUTTMANN, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, ins Leben gerufen worden, der bis zu seinem Tode 1829 "Zwingherr" der Gesellschaft war. In dieser Funktion folgte ihm Major VON EICHLER und, nach dessen Tode im selben Jahr, FRIEDRICH SCHLEIERMACHER (bis 1834). In dieser Blütezeit der "Gesetzlosen" repräsentierten die Mitglieder und Gäste das geistige und öffentliche Leben nicht nur Berlins. Unter den Mitgliedern finden sich Namen wie v. SAVIGNY, W. v. HUMBOLDT, NIEBUHR, BOECKH, ACHIM VON ARNIM, SOLGER, SCHINKEL, GNEISENAU, E. T. A. HOFFMANN und LACHMANN. Von den Gästen sind u. a. zu nennen: LUDWIG TIECK, E. M. ARNDT, ADAM MÜLLER, OKEN, OERSTEDT und FICHTE (der am 2. 2. 1811 von MEINDORF in die Gesellschaft eingeführt wurde, ihr aber nicht beitrat).

Ende September 1818 siedelte Hegel mit seiner Familie nach Berlin über, wo er am 22. Oktober seine Antrittsvorlesung hielt. Bereits am 31. Oktober wurde er von Schleiermacher als Gast in die "Gesetzlose Gesellschaft" eingeführt. In dem 1. Protokollbuch (bis 1820) findet sich auf Bl. 63V unter dem Datum des 31. 10. 1818 an erster Stelle folgender Eintrag:

[von SchleiermacherS Hand:] Herr Prof. Hegel
[Unterschrift:] G W F Hegel
[Unterschrift:] Schleiermacher

Bei dem Treffen am 28. November 1818 wird Hegel als Mitglied in die Gesellschaft aufgenommen. Die - wohl von BUTTMANN geführte - Mitgliederliste vermerkt auf Bl. 9r desselben Protokollbuches an diesem Tag vier Neuaufnahmen:

v Wussow Hauptmann
Rauch, Bildhauer
Hegel, Professor
Hasse, Professor

An der zwischen Einführung und Aufnahme liegenden Sitzung vom 14. 11. hat Hegel nicht teilgenommen; über die Regelmäßigkeit seines Besuches als Mitglied lassen sich keine Angaben machen, da in den Protokollen nur die Namen derjenigen Mitglieder auftauchen, die Gäste mitbringen. Dies war bei Hegel im folgenden nur dreimal der Fall. Am Schluß der Gästeliste des 13. 11. 1819 (Bl. 72r) steht:

[Von Hegels Hand:] Hr von Henning, aus Erfurt
[der Ort wurde von HENNING gestr. und durch "Gotha" ersetzt]
[Unterschrift:] Leopold v Henning
[Unterschrift:] Hegel

HENNING war also der erste Gast Hegels bei den "Gesetzlosen". Auf der übernächsten Sitzung, am 11. 12.1819, führte Hegel FR. v. RAUMER als Gast ein (Bl. 72V)

[Von Hegels Hand:] Hr Reg. Rath u. Prof. von Raumer
[Unterschrift:] v. Raumer
[Unterschrift:] Hegel

Danach tritt Hegel in den Protokollbüchern nur noch einmal als Gastgeber eines BARON v. SCHILLING5 in Erscheinung, über den bisher in der Hegel-Literatur nichts bekannt ist. Auf Bl. 74v ist unter dem Datum des 29. 4. 1820 folgender Eintrag zu finden:

[Von Hegels Hand:] Rittmeister Baron von Schilling aus Kurland
[Unterschrift:] W Frhr v Schilling ssst6
[Unterschrift:] Hegel

Nach der Mitgliederliste ist Hegel bis zu seinem Tode als Mitglied geführt worden. Auch, wenn die Protokolle nichts über die Teilnahme der Mitglieder an den Zusammenkünften aussagen, sofern sie keine Gäste mitbrachten, ist die Spärlichkeit der Hegel betreffenden Eintragungen auffällig: 1) Nachgewiesen ist Hegels Erscheinen bei den "Gesetzlosen" nur im zeitlichen Umkreis des Zusammenstoßes mit SCHLEIERMACHER; 2) im Vergleich zu anderen Mitgliedern, die, wie Hegel, einen regen geselligen Verkehr pflegten, tritt er als Gastgeber in der "Gesetzlosen Gesellschaft" kaum in Erscheinung; 3) schließlich sind auch sonst bisher keine anderen biographischen Zeugnisse bekannt, die einen weiteren Besuch der Zusammenkünfte belegen würden. Im Gegenteil. Anfang 1826 ließ PH. BUTTMANN durch Vermittlung seines Kollegen FRIEDRICH WILKEN Hegel um ein Autograph ersuchen; Hegel erfüllte diesen Wunsch am 13. 2.1826 mit einem recht förmlichen Schreiben.7 Einer solchen Vermittlung hätte es sicher nicht bedurft, wenn Hegel auch nur gelegentlich bei den Versammlungen der "Gesetzlosen" den "Zwingherrn" BUTTMANN getroffen hätte. Es spricht vieles dafür, daß sich Hegel seit 1820 von der Gesellschaft ferngehalten hat.

Daß Hegel als Neuling in Berlin Anschluß an das dortige gesellige Leben suchte, dürfte nur ein Motiv gewesen sein, sich so bald nach der Ankunft den "Gesetzlosen" zuzuwenden. Daß ausgerechnet sein wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Kontrahent SCHLEIERMACHER ihn dort als Gast einführte, verweist auf ein Inhaltsvolleres Motiv: Neben SCHLEIERMACHER, der, wie bekannt, zu dieser Zeit die Aufnahme Hegels in die Akademie der Wissenschaften zu verhindern suchte, fand Hegel unter den Mitgliedern der "Gesetzlosen Gesellschaft" nahezu alle führenden Akademiemitglieder.8 Er konnte hier das Terrain für seine Wirksamkeit außerhalb des universitären Lehramtes sondieren und Beziehungen anknüpfen. Nicht zuletzt der Zusammenstoß mit SCHLEIERMACHER 1819 mag Hegel davon überzeugt haben, unter den Akademiemitgliedern selbst keine Unterstützung für seine Pläne zu finden; so zog er sich auch aus dem geselligen Kreis der "Gesetzlosen" zurück, in dem SCHLEIERMACHER eine bestimmende Rolle spielte.

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Fußnoten

... Vereinigung.1
Briefe von und an Hegel. Hrsg. von l. Hoffmeister. Bd 2. 220. - C. A. K. Klenze: Ph. Buttmann und die Gesetzlosen. Am 4. November/5. Dezember 1834. Statt Handschrift für die Mitglieder der gesetzlosen Gesellschaft. Berlin. Gedruckt bei G. Reimer 1834. 26. - Willy Hoppe: Die gesetzlose Gesellschaft zu Berlin. Festschrift zum 150jährigen Bestehen. Berlin 1959. 131. Beide Festschriften nennen 1818 als Eintrittsjahr. Hoffmeister (448) bezieht sich auf die Festschrift zum 100jährigen Bestehen: Die Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin. Berlin 1909.
... nimmt.2
Briefe von und an Hegel. Bd 2. 221 (Br. 361, 362). Zu dem Verhältnis Hegel-Schleiermacher insgesamt vgl. Richard Crouter: Hegel and Schleiermacher at Berlin: A Many-Sided Debate. In: Journal of the American Academy of Religion, XLVIII/1, 19-43.
... teilnahm.3
Vgl. Hoffmeisters Anm. zu Brief 360 (Bd 2. 448).
... liefern.4
Die Protokollbücher wurden uns freundlicherweise durch den jetzigen "Zwingherrn", Herrn Schmidt-Torner (Berlin) zugänglich gemacht, wofür wir ihm an dieser Stelle ausdrücklich danken.
...Schilling5
Offenbar handelt es sich um Wilhelm Heinrich Freiherr von Schilling (1796-1856) aus dem schwäbischen Adelsgeschlecht der Schilling von Canstatt. W. H. von Schilling war Großherzoglich-Badischer Kammerherr und Hauptmann (= Rittmeister) a la suite. Vgl. Genealogisches Handbuch des Adels. 4. Freiherrliche Häuser A, Bd 1. Glücksburg 1952. 350, Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser. 1906. 691. - Hegels Eintrag "aus Kurland" wäre demnach nur der Hinweis auf den Herkunftsort der Reise v. Schillings nach Berlin. Wann und wie Hegel die Bekanntschaft v. Schillings machte, konnte noch nicht ermittelt werden.
... ssst6
ssst = kanzleimäßige Abkürzung für "subscripsit"
... Schreiben.7
Briefe von und an Hegel. Bd 4, T. 2. Hrsg. von F. Nicolin. Hamburg 1981. 59 (Br. 502 b).
... Akademiemitglieder.8
Ein Vergleich der Listen der ordentlichen Mitglieder der Akademie der Wissenschaften (s. Adolf Harnack: Geschichte der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Bd 1. Berlin 1900. 963 fl und der Gesetzlosen Gesellschaft (s. Hoppe. 127 ff) zeigt, daß im Jahre 1919 etwa zwei Drittel der Akademie-Mitglieder zugleich der "Gesetzlosen" angehörten.

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Letzte Änderung: 02.01.2020
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