Die Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin Gegründet in Berlin am 4. November 1809 |
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Anfänge (1809-1810) Aufstieg und Beharrung (1811-1840) Unruhige Jahrzehnte (1840-1870/71) Wandlung (1871-1918) Festigung (1919-1933/34) Post Nubila Phoebus (1934-1959) Ergänzungen (1960-1984) |
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Auf der Gasse herrscht die Masse,
Der Unsinn siegt, Vernunft erliegt,
Throne sanken, Grenzen wanken,
Die Ordnung flieht, wohin man sieht.
Leer die Truhen, Werke ruhen
Und trocknes Brot uns allen droht.
Trotz der Tücke lief zum Glücke
Ein wildes Schwein zur Küche ein.
Mitzuteilen will icli eilen,
Der Schweine-Quark macht funf zehn Mark.
Trinkgeld vacat; siehe Plakat.
Ein jeder Wein bestellt allein.
Schrippen warten ohne Karten,
jedoch für Brot tun Karten not. -
Mag es gären, Sturm gebären,
Nach dunkler Nacht der Tag erwacht.
Ob den Sorgen heut und morgen
Trägt uns empor allein Humor,
Diesem Tröster Leiden größter
Sei trotz Leid mein Glas geweiht.
Das Fleisch gibt’s wieder sans façon,
jedoch nicht ganz à discrétion.
Doch ohne Karte gibt’s kein Brot,
So will’s noch immer das Gebot.
Dem Wirt wird heute für’s Kuvert
Mark siebzehn komma fünf gewährt.
Das Pour boire ist auch dabei;
Das ist der Schluß der Reimerei.
In der Hoffnung auf eine weitere Belebung hatte Timann im November 1922 mit den Rodensteinern, Sektion Trarbach-Stübchen“, eine Vereinbarung getroffen.Das war eine an sich im Rheinland wurzelnde Trinkgesellschaft, die sich im gleichen sogenannten Generalszimmer des Weinhauses Trarbach regelmäßig versammelte wie die Gesetzlose.Sie stand unter einem Hochmeister, dem General der Infanterie von Amann. Von ihren damals 21 Mitgliedern, mit zwei Ausnahmen Offizieren, fast sämtlich im Generalsrang, waren zwei Gesetzlose, von Zwehl (1912) und Kosch (1919). Zu ihnen gesellten sich bald zwei weitere Rodensteiner, von Kluck (1921) und Clausius (1923). Ein Verkehrsverhältnis wurde verabredet. Mitglieder der einen Gesellschaft durften ohne weiteres bei der anderen als Gäste erscheinen. Gelegentlich traf man zu gemeinsamer Ehrung eines beliebten Mitgliedes zusammen.Hatten die Rodensteiner sich an einem Essen zu Ehren der Goldenen Hochzeit des Generalobersten v. Kluck beteiligt, so besuchten die Gesetzlosen einen Monat später eine festliche Tafel zu Ehren des 85. Geburtstages des Hochmeisters Exz. v. Amann.“ Mindestens bis Ende der 20er Jahre hat die Verbindung bestanden.
Im übrigen war die Gesetzlose durchaus in der Lage, ihr Leben aus eigenen Kräften zu gestalten.Da waren wesentliche Träger zunächst Mitglieder, die noch aus der kaiserlichen Zeit stammten. Wir denken etwa an Caspar (1901), von Schönstedt (1906), Kraetke (1909), Gruner (1912), von Zwehl (1912), Lentze (1916). Zu ihnen waren 1919 bis einschließlich 1933 45 neue getreten, in der Mehrzahl hohe Beamte, vielfach zumeist infolge der staatlichen Umwälzung schon in Pension.Viele kamen aus den Ministerien, aus der Justiz die Ministerialdirektoren Bourwieg (1919), Geissler (1923), Hartwig (1928), ein Schwiegersohn Liscos und Thiesing (1932). Aus dem ehemaligen Reichsamt des Innern fanden sich ein die Direktoren Just (1924) und v. Joncquières (1927), aus dem Reichsernährungsministerium der Staatssekretär Mussehl (1932), der als Jenaer stud. jur. ein eifriger Schüler Haeckels gewesen war. Unter Mitgliedern des Reichsverkehrsministeriums, wie dem Staatssekretär Bodenstein (1921) und dem Ministerialdirektor Pape (1919) begegnet man dem Staatssekretär Gutbrod (1921), einem bis dahin in der Gesellschaft kaum vertretenen Typ. Der von der Technik ausgegangene geborene Schwabe hatte nach praktischer Arbeit bei der bekannten Berliner Maschinenfabrik Schwarzkopff und anschließendem Maschinenbaustudium seine berufliche Bahn im Dienst der Eisenbahn durchlaufen, bis er vom Eisenbahn-Zentralamt in Berlin 1921 als Direktor in das Ministerium einrückte. Dem Reichswanderungsamt hatte Jung (1921) vorgestanden, den als Referendar ausgedehnte Reisen nach Amerika, Afrika, Asien, Rußland, Persien geführt hatten, dem Reichsaufsichtsamt für Privatversicherung Scharmer (1930), ein Nachfolger Gruners (1912) und Vorgänger Kissels (1934), dem Reichsgesundheitsamt Bumm (1930), dem Reichspatentamt Haus (1933). Wie in der kaiserlichen Zeit hatte die Gesetzlose ganz im Gegensatz zum 19.Jahrhundert aus der Richterschaft geringen Zuzug erhalten, nur vier Mitglieder in der gesamten Weimarer Zeit. Zu ihnen gehörte der Kammergerichtspräsident von Staff (1921). Auch die Militärs waren dünn gesät: 7 Offiziere des Heeres, 4 der Marine, unter jenen der schon genannte Generaloberst von Kluck (1921), der Träger des Marne-Schicksals, in der Gesellschaft geschätzt als guter Anekdotenerzähler. Wie die Ärzte mit dem Sanitätsrat Hofmeier (1920) und die Gelehrten mit den früher schon in anderem Zusammenhang genannten Professoren Stutz (1926) und Kirchner (1927) weit hinter anderen Berufsständen zurückblieben, so hat die Gesetzlose auch aus dem Kreise der Wirtschaft kaum neue Mitglieder gewonnen, neben dem schon nach wenigen Jahren nach Leipzig verzogenen Bankdirektor Dr. v. Leuthold (1926) nur zwei: Dr. Sintenis (1922) und Kommerzienrat Selberg (1930). Doch war die Zeit der wirtschaftlichen Wirkung Selbergs bei seinem Eintritt (er war bereits 78jährig) schon vorüber. Sintenis, Schwiegersohn von Bourwieg, war der Aufstieg vom juristischen Mitarbeiter bei der Berliner Handelsgesellschaft über den Syndikus zum Geschäftsinhaber geglückt. Nach 1914 Mitarbeiter an den wirtschaftlichen Kriegsgesetzen, ist er auch während seiner Tätigkeit als Bankinhaber der Bankwissenschaft treu geblieben, u. a. als ständiger Mitarbeiter des Bank-Archivs, und hat so das Blut der Gelehrtenfamilie, aus der er stammte, nicht verleugnet. Einer viel älteren Generation gehörte, wie angedeutet, der nur zwei Jahre unter uns wehende Selberg an. Er hatte einst ein Übersee-Handelshaus gegründet und sich früh nationalen und internationalen Wirtschafts- und Kolonialaufgaben gewidmet. Dabei hatte er Anteil an der Entstehung der Deutschen Kolonial-Gesellschaft gehabt, und war stets zur Stelle gewesen, wenn es galt, Hilfsorganisationen aufzustellen, z.B. das große Zeppelin-Komitee von 1909, das Deutsche Hilfskomitee für Deutsch-Südwestafrika beim Herero-Aufstand 1904 usw. Er hat übrigens auch die Anregung zur Aufstellung des Eisernen Hindenburg auf dem Königsplatz im ersten Weltkrieg gegeben. Einer neuen Erscheinung unter den Gesetzlosen ist zum Schluß zu gedenken, Carl Sempers. Der geborene Stralsunder entstammte einer Altonaer Fabrikanten-Familie. Ein Bruder seines Großvaters war der berühmte Dresdner und Wiener Baumeister Gottfried Semper gewesen. Durch seine Mutter war er Enkel des Begründers der Kieler Howaldtwerke. Er ist, durch von Leuthold eingeführt, 1928 der unsrige geworden. Kurz zuvor war er aus politischen Gründen aus dem Amte des Präsidenten der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse, erst 58 Jahre alt, verabschiedet worden. Er hat seine Zeit dann benutzt, an der Berliner Universität im Jahre 1931 zum Dr. phil. zu promovieren mit einer Dissertation über „Die Konzentrationsbewegung im landwirtschaftlichen Kreditwesen Deutschlands“, die in erweiterter Form als Buch erschienen ist. Zu großer Bedeutung für die Entwicklung der Gesellschaft ist er als Zwingherr in nationalsozialistischen Jahren gelangt.
Beim Überblick über die Gesamtheit der Gesetzlosen in der Weimarer Zeit ergibt sich keine Änderung des soziologischen Bildes nach der staatlichen Umwälzung, wie auch zu erwarten war.Es wurde weiter bestimmt durch pensionierte hohe Beamte und einige im Ruhestand lebende hohe Militärs.Die bereits in früherer Zeit beobachtete Überalterung hatte sich fortgesetzt. Politisch spannte sich der Bogen von Anhängern der äußersten Rechten bis in die (ehemals national-liberalen) Kreise der Deutschen Volkspartei. Den einen Flügel bezeichnete etwa der einstige Chef der Zivilverwaltung in Warschau, Dr. von Kries (1922), der, 1919 als Landrat zur Disposition gestellt, 1928 aus dem Preußischen Staatsdienst entlassen war. Als Konservativer war er 1908 bis 1918 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses gewesen, hatte als Deutschnationaler der Verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, seit 1920 dem Preußischen Landtag angehört, dessen erster Vizepräsident er 1931 geworden war. Der andere Flügel war etwa durch den Ministerialdirektor a.D. Just (1924) vertreten, der bis 1918 als National-Liberaler ein Landtagsmandat inne gehabt hatte.Anhänger der Demokratischen Partei haben während dieser Zeit der Gesetzlosen noch nicht angehört. Gäste wurden in diesen Jahrzehnten nur vereinzelt eingeführt.Es geschah fast stets im Hinblick auf künftige Mitgliedschaft.Diese schien häufig geradezu mit der beruflichen Stellung zusammenzuhängen.So ist der Chef der Personalabteilung des Preuß.Justiz-Ministeriums nacheinander in Personen wie Bourwieg, Geissler, Hartwig „gesetzlos“ geworden. Ein Leben in gewohnter Breite konnte natürlich erst nach beendeter Inflation erwachsen. „Die unsinnige Preissteigerung zwang die Gesellschaft“, schrieb Timann am 2. November 1923 in das Protokoll, „das bisherige Lokal bei Trarbach zu verlassen“ (seit 1916 war man dort) und in das Landwehr-Offiziers-Kasino (in der Jebensstraße) überzusiedeln. Wir kamen vom Regen unter den Regen. Am 1. November war hier die Goldmark-Rechnung eingeführt. Die halbe Flasche billigsten Weines kostete jetzt 89,8 Milliarden, 10 Tage vorher die ganze Flasche nur 420 Millionen. Die Mitglieder begnügten sich daher mit Bier, das Glas zu 3550 Millionen.“ Man kehrte also am 1. Februar 1924 wieder zu Tratbach nach der Kantstraße 8 zurück. Weshalb man dann am 18.Dezember 1925 „im neuen Lokal Astoria-Stuben Hardenbergstraße 15 bei Herrn Haupt“ einkehrte, wo die Gesetzlosen auch in den Jahren 1927 und 1928 ein paarmal zu finden sind, läßt sich nicht sagen. Es scheint, daß dort nur vereinzelte gemeinschaftliche Essen veranstaltet wurden, ebenso einmal im Landwehr-Offizierskasino. Spätestens seit Mai 1928 war Trarbach auf die Dauer wiedergewählt worden und ist es bis Sommer 1936 geblieben. An seine Stelle traten die Weinstuben von Ewest in der Behrenstraße 26a, im Eckhaus der Friedrichstraße. Bis nahezu an das Ende des Krieges hat dort das Zietenzimmer, ausgestattet mit der Einrichtung des Kasinos der Rathenower Zietenhusaren, die Gesetzlosen aufgenommen. Nach dem ersten Weltkrieg hatte die Gesellschaft zunächst das in ihm eingeführte allwöchentliche Treffen beibehalten, bis Ende November 1922 die Benutzung des gleichen Raumes durch die Rodensteiner zu einem 14tägigen Turnus zwang.Der seit dem Weltkrieg übliche Freitag ist nach einigem Wechsel seit Mai 1922 der gewohnte Wochentag geworden.
Die vierteljährlich stattfindenden gemeinsamen Essen trugen nun einen anderen Charakter als die Tafeleien, die bis zum Weltkrieg die Gesetzlosen alle 14 Tage vereint hatten.Die Seltenheit machte sie festlicher. Äußerlich prägte es sich darin aus, daß man im Smoking erschien. Das Ansetzen einer Bowle erschien wie eine Handlung höheren Grades, und ihr Zelebrant war der in ihre Mysterien tief eingeweihte Gesetzlose Hayessen (1919). Aus dem üblichen Ablauf des gesellschaftlichen Lebens hob sich die Feier des 120.Stiftungstages am 1. November 1929 heraus. 26 Mitglieder und 4 Gäste hatten sich dazu vereint. Unter letzteren war der Rodensteiner von Hepke. Er wird die Glückwünsche seines „Heerbannes“ überbracht haben, wie sie der Rodensteinische Hochmeister v. Altrock, „Gegeben am 1. Nebelung 1929“, auf einem mit seinem Wappen gezierten Kärtchen niedergelegt hatte: