wappen0.gif Die Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin
Gegründet in Berlin am 4. November 1809

Die Geschichte der Gesellschaft - Teil II


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Alphabetisches Gesamtverzeichnis Verweise

Anfänge (1809-1810)
Aufstieg und Beharrung (1811-1840)
Unruhige Jahrzehnte (1840-1870/71)
Wandlung (1871-1918)
Festigung (1919-1933/34)
Post Nubila Phoebus (1934-1959)
Ergänzungen (1960-1984)
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Aufstieg und Beharrung (1811-1840)

Auch die Geschichte der Gesetzlosen Gesellschaft kennt ihre Periodenund Epochen. Sie ergeben sich zunächst aus der „dynastischen Folge“ der Zwingherren. Denn fast jeder von ihnen hat die Gesellschaft seinerzeitmehr oder weniger geprägt. So könnte denn von der Gründung unserer Gemeinschaft und ihren allerersten Schritten, d. h. den Jahren 1809/10, die wir schon kennenlernten, der Bogen gespannt werden über die Zeit der ersten Zwingherren, nämlich Buttmanns, die wenigen Wochen des Majors von Eichler, dann die Jahre Schleiermachers und schließlich Staegemanns. Das wären die Jahre bis 1840. Dies ist zugleich der Zeitpunkt, an dem mit dem Tode König Friedrich Wilhelms III. ein anderes Zeitalter preußischer Geschichte heraufzieht. Aus ihr ist aber die Geschichteder Gesetzlosen nicht herauszulösen.

Zunächst mögen die Gestalten der vier Zwingherrn an uns vorüberziehen. über Buttmanns eigenwillige, aber stets anerkannte, allgemein geachtete und beliebte Person ist der schon gegebenen Charakteristik nur weniges hinzuzufügen. Einer seiner besten Freunde unter den Gesetzlosen spricht später einmal „von der Art, wie er in der Gesellschaft sein Verhältnis nicht bloß zum Ganzen auffaßte, sondern wie er mit jedem einzelnen, der mit ihm in Berührung kam, zu leben und zu verkehren verstand“. Doch vollzog sich dieses gesellige Verfahren keineswegs in „gefälliger, abgeschliffener Form“. Buttmann war ein allzu natürlicher Mensch, als daß er nicht seine Abneigung gegen alles deutlich zeigte, was nach leerer Förmlichkeit aussah. Es verschlug auch nichts, daß er, mit feinem Gefühl für die kleinen Schwächen seiner Mitmenschen begabt, als Zwingherr sie keineswegs schonte. Sein sprudelnder Witz und seine kecke Laune fanden vielmehr beste Gelegenheit, „der Geselligkeit einen Stachel zu leihen“.

So wenig er aber schonte, er verletzte auch nicht, jedenfalls alle die nicht, „welche seine edle gesellige Freiheit einmal begriffen, bei ihm auch gelernt haben, eine weichliche und schwächliche Empfindlichkeit abzutun und dadurch der Geselligkeit ihr belebendes und würzendes Salz zu erhalten“.

So ist denn Buttmann, dieser „Virtuose der Geselligkeit“ nach Schleiermachers Wort, der Mittelpunkt der Gesetzlosen geblieben. Kaum eine Zusammenkunft, an der er nicht teilgenommen hätte! Doch schließlich zogen auch im Leben dieses fast nie krank gewesenen Mannes finstere Schatten herauf. Er legte 1826 wegen seines körperlichen Zustandes das Amt des Sekretärs der Akademie nieder. 1827, am 1. Dezember, ist er letztmalig in der Gesetzlosen nachweisbar. Er führte einen seiner Söhne, den studiosus August, als Gast ein. Die Unterschrift im Protokollbuch zeigt in ihren zitterigen Zügen nichts mehr von der Kraft seiner einstigen schönen Handschrift. Ein Schlaganfall brachte langwierige Lähmung. Am 21. Juni 1829 wurde Buttmann von schwerem Leiden erlöst, 65jährig. Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in der Nordberliner Chausseestraße bereitete man ihm die Gruft. Schleiermacher, über die Gesetzlose hinaus ihm verbunden und bis zum letzten Hauche bei ihm, sprach am Grabe das tröstende Wort und hat ihm auch einen ergreifenden Nachruf in der Akademie gehalten.

Ein hohes, in antiker Form gehaltenes Denkmal zeigt bis heute die Stätte, wo der erste Zwingherr ruht. Es trägt über Namen und Lebensdaten sein von einem Lorbeerkranz umrandetes seitliches Kopfbild, unter ihm ein Relief, beide von Friedrich Tiecks, des Gesetzlosen, Meisterhand.

Als ein anspruchsloser stiller Herr lebte der zweite Zwingherr, der Major von Eichler, „unser braver Eichler“, in der Erinnerung der Gesetzlosen fort. Unter seiner Leitung hatte sich eine andere Gesellschaft, die noch zu schildem sein wird, der unsrigen 1817 angeschlossen, und es mochte ein Akt der Höflichkeit und Dankbarkeit sein, wenn Buttmann schon bei Lebzeiten diesen soviel anders gearteten Adepten der Gesetzlosigkeit „zum Kronprinzen“ erklärte. Eichler starb noch im gleichen Jahre.

Ihm folgte „der große Mann“, wie er,einmal im Kreise der Gesetzlosen nach seinem Tode bewundernd genannt wurde: Schleiermacher. Als Mensch und Gelehrter ist dieser viel gehörte Kanzelredner seiner Zeit bekannt genug, als daß es nötig wäre, hier sein Bild zu zeichnen. Eine wie reiche Saat er auf dem Felde unserer Gesellschaft ausstreute, können wir nur ahnen. Wie kaum ein anderer, Buttmann ausgenommen, hat er Gespräch und Geselligkeit belebt. Doch das Zwingherrntum, das er als 61jähriger antrat, sah ihn nicht mehr auf seiner vollen Höhe. Der körperlich nie Kräftige war gealtert und nach den Worten eines Zeugen „nicht mehr der scharfe, feurig Blitzende früherer Tage“, wenn er auch in der Gesetzlosen noch „stark und sicher in unangefochtener Autorität herrschte“. Am 12. Februar 1834 zahlte er nach schwerer Lungenentzündung den Zoll aller Sterblichen, des nahen Endes in Ergebung und voll klarer, milder Ruhe gewiß. Der Trauerzug führte durch die von Tausenden umsäumten Straßen von der langjährigen Wohnung im Hause des „gesetzlosen“ Buchhändlers Reimer in der Wilhelmstraße 75 (dem späteren Königlichen Hausministerium und Palais des Reichspräsidenten) nach dem Dreifaltigkeitsfriedhof in der Bergmannstraße. An der dort auf der Höhe des ansteigenden Geländes bereiteten Gruft sprach auf Schleiermachers eigenen Wunsch der alte Schüler und Freund Pischon, Archidiakonus an der Nikolalkirche und seit einigen Jahren auch Mitglied der Gesetzlosen. Von der Hand eines anderen Gesetzlosen, der Rauchs, stammt die Grabbüste. Von einem geflügelten Engelsköpfchen getragen, leuchtet sie herab aus einer Rundnische in einem hohen senkrechten Block aus weißem schlesischem Marmor mit schlichter antiker Bedachung.

Und noch einmal, wie nach Buttmanns Tode, wurden die Geschicke der Gesellschaft in schwache Hände gelegt. An blendender geistiger Substanz hatte sich der jetzt 70jährige Geheime Staatsrat von Staegemann mit dem ersten und dritten Zwingherrn nie messen können. Dazu war er jetzt gealtert. Die Gabe freier Rede hat ihm nie zu Gebote gestanden, wenn er auch in regem Gespräch seine klugen Worte hier und da mit einer Dosis Ironie oder Sarkasmus zu würzen wußte, die beide freilich Schlei-ermacher in höherem Maße gegeben waren. Immerhin, er war eine der hervorragendsten Gestalten des alten preußischen Beamtentums, zu höchsten Würden aufgestiegen, wenige Jahre vor seinem Tode noch zur Excellenz, dazu ein warmherziger Mensch von Welt, temperamentvoll, mit heiterem Wesen in seltenem Maße begabt. Sein poetisches Talent war im Kreis der Gesetzlosen ehedem durchaus willkommen, und Staegemann hatte es früher geradezu verschwenderisch betätigt, neben an- derem durch eine in das steife Gewand der Oden gekleidete patriotische Lyrik. Als Dichtung in höherem Sinne schlug es die Freunde kaum in den Bann. Dafür zogen seine regelmäßigen Empfangsabende, die von nicht geringerem Rang als die im Varnhagen-Rahelschen Salon, doch von bescheidenerer Art waren, auch manchen Gesetzlosen an. Durch 30 Jahre war Staegemann, gesellig wie nur einer, mit der Gesetzlosen verbunden gewesen, zuletzt freilich kränklich und müde geworden, um sich noch ganz als Zwingherr behaupten zu können. Er „legte oft den Herrscherstab aus der Hand und überließ uns unserem eigenen Willen“, wußte ein Teilnehmer später von dieser Endzeit zu berichten. Doch ist Staegemanns Handschrift noch bis zum November 1840 im Protokollbuch zu finden. Am 17. des folgenden Monats starb er. Er wurde auf dem Friedhof der Jerusalemer und Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor bestattet. Die unmittelbar an der Ecke des. heutigen Mehringdammes, der früheren Belliancestraße, und der Baruther Straße gelegene Grabstätte, auf der in der Umfassungsmauer des Friedhofs eine wohl aus der Königlich Preußischen Eisengießerei stammende zeitgenössische Platte mit dem Namen in antiker Schrift eingelassen ist, ist - sic transit gloria munch - einer wüsten Verwahrlosung überantwortet.

Das moderne große Mal auf dem Grab ist nichtssagend. Ebenda fand Staegemanns Enkelin Marie von Olfers ihre letzte Stätte. Sie und vor ihr ihre Mutter, Hedwig von Olfers, beide in höchstem Sinne geistvolle Frauen, haben den feinen musischen Ton des Staegemannschen Hauses bis in das erste Viertel unserers Jahrhunderts in dem Berliner Gesellschaftsleben fortklingen lassen.

Es wäre ein ermüdendes Unterfangen, in gleicher Weise wie die Zwingherren auch die einzelnen Gesetzlosen zu charakterisieren, die in dem Zeitraum 1810/40 sich dazufanden. Ihre Namen und Berufe läßt die Mitgliederliste erkennen. Im übrigen müssen wir uns damit begnügen, die Gesellschaft im Zusammenhang mit dem großen allgemeinen Geschehen zu erkennen. Dabei wird auch zur Geltung kommen, wie sich der und jener innerhalb der Gesellschaft auswirkte.

Mehrfach ist bereits hervorgehoben worden, daß sich in der Gesetzlosen Kräfte zusammenschlossen, die zum Teil an hervorragender Stelle zum Wiederaufbau und zur Reform des preußischen Staates beitrugen. Dieser sehr viel vertrauter und enger als in den späteren Jahrzehnten zusammenhängende Kreis hat damit zugleich geholfen, die Abschüttelung des napoleonischen Joches vorzubereiten. Ernst Moritz Arndt, durch den Buchhändler Ernst Reimer früh als Gast eingeführt, und mit Schleiermacher durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden, wußte sich noch im höchsten Greisenalter dankbar zu erinnern: „Dies war ein Leben und Weben, ein Wogen und Treiben der Kräfte, jugendlich frische Gesellen! Da habe ich viel trefflichste Männer zuerst gesehen und kennengelernt und war mit einemmal mitten in einem großen Männer- bund, der einen einzigen Gegenstand seines Bedürfnisses hatte, Haß und Abschüttelung und Vernichtung der Wälschen“. Als der Bef reiungskampf dann ausbrach, hat mancher Gesetzlose zum Schwerte gegriffen oder sich sonst betätigt. Daß Buttmann schon 1804, also vor der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, in einer, auch gedruckten, Rede dafür eingetreten war, mag wenigstens angemerkt werden.

Seit dem Februar 1813 geriet die Gesetzlose Gesellschaft sichtlich in Bewegung. Am 3. hatte der König von Breslau aus zur Bildung freiwilliger Jägerbataillone aufgerufen, wenige Tage später beschloß der Königsberger Landtag die Ausrüstung von 30 000 Mann, und Ende des Monats verbündeten sich Preußen und Rußland. Die sonstige Regelmäßigkeit der Versammlungen wurde jetzt hier und da unterbrochen, schon einmal im Februar, dann am 27. März. Zehn Tage vorher war der „Aufruf an mein Volk“ ergangen. jetzt war zum Tafeln keine Zeit. In einfacherer Art kam man zusammen, wie Buttmanns Eintragung im Protokollbuch über eine „frugale Zwischenperiode“ vom April 1813 bis Februar 1814 erkennen läßt. Diplomatische Schritte, dazu die ersten Kampfhandlungen seit dem April, verstärkten die Unruhe und veranlaßten bis in den August ein paar weitere Ausfälle. Nun gingen die ersten Gesetzlosen ins Feld, im August der 34jährige Kammergerichtsrat Eichhorn. Er war schon 1809 aus Begeisterung mit Schill zu den Toren Berlins hinausgezogen. jetzt kämpfte er an der Katzbach und nahm auch nach der Schlacht von Leipzig an den kriegerischen Ereignissen teil. Sein gleichnamiger Vetter Karl Friedrich, erfolgreicher juristischer Ordinarius an der Universität, der Begründer der neuen deutschen Verfassungsgeschichte, stand als Schwadronschef im 4. Kurmärkischen Landwehrkürassierregiment bei Wittstock, Großbeeren und Dennewitz im Kampf, auch noch bei Leipzig. Mit der Vorhut des Heeres zog er weiter durch Westfalen, Holland, Belgien nach Frankreich. Nach dem Einzug in Paris im Frühjahr kehrte er, mit dem Eisernen Kreuz Il. Kl. geschmückt, im Sommer heim. „Deutschland ist frei“, schrieb er nach dem Leipziger Siege an seine Frau, „und ich habe dafür mitgestritten; in meinen alten Tagen denke ich noch an dem Genuß zu zehren, den mir die Teilnahme an der allgemeinen Sache macht“. Zwei ihrer frühesten Mitglieder hat die Gesetzlose durch den Krieg verloren: der Mediziner Reil starb als Opfer seines Eifers für die Lazarette und der Bankier Alberthal fiel als „Freiwilliger und Rittmeister der Landwehr“ bei Dennewitz. Ebenfalls in den Schlachten des Herbstfeldzuges 1813 hatte der junge Buchhändler Reimer als Hauptmann einer Landwehrkompanie sich bewährt, bei Hagelberg, Großbeeren und Leipzig. Er ist der Mann, der bereits bei der Besetzung Berlins durch die Franzosen seine Waffen ihnen auszuliefern ablehnte mit der Begründung, die seine innere charaktervolle Haltung kennzeichnet: „Die Wehr bedingt den Mann, keine Mann ohne Wehr“. Selbstverständlich stand unter den Fahnen der neben Grolmann einzige Berufssoldat, der in dieser Frühzeit der Gesetzlosen angehörte, der Generalmajor von Boguslawski, damals Direktor der Kriegsschule in Berlin. Ein junger Waffengenosse des Dichters Fouque, hatte er schon in den Feldzügen der Revolution das Pulver gerochen, war bei jena in Gefangenschaft geraten und zeichnete sieh nun als Kommandeur einer Landwehrbrigade in dem Gefecht bei Hagelberg aus. Nicht ins Feld kamen der Professor der klassischen Philologie Boeckh (1811), Achim von Arnim (1813), der Romantiker und Erwecker nationalen Geistes, und ferner Schleiermachers theologischer Kollege an der Universität, auch Amtsbruder an der Dreifaltigkeitskirche Marheineke (1813). Sie dienten als Hauptleute im Landsturm oder in der Landwehr. Niebuhr, Buttmann und Ruehs (1811), der erste Historiker an der jungen Universität, traten gleichfalls ein. Die Überlieferung der Gesellschaft weiß von den letzten beiden zu melden: „Ein boshafter Zufall brachte ihn (Buttmann) 1813 bei den militärischen Übungen ... immer mit Ruehs zusammen, von welchen beiden Nachbarn im Exerzieren gerade einer gewöhnlich das Kommando rechts- oder linksum verkehrt befolgt haben soll, so daß die beiden Freunde sich einander entweder das Gesicht oder das Gegenteil zuwenden mußten.“ Savigny hat nach dem Zeugnis des einige Jahre später sieh ebenfalls den Gesetzlosen anschließenden Boyen, der im Mai 1813 die Verteidigung Berlins übernommen hatte, in dem Ausschuß für die Organisation von Landwehr und Landsturm das Beste getan. Bei der komischen Schilderung Bettina v. Arnims von Savignys Auftreten als Kriegsfreiwilliger, „der mit dem Glockenschlag 3 wie besessen mit einem langen Spieß über die Straße rennt“, wird die lose Zunge der jungen Frau ein übriges getan haben. Auch Schleiermacher wirkte in jenem Ausschuß mit. Der Arzt Heinrich Meyer, den wir unter den frühesten Gliedern der Gesellschaft kennenlernten, scheint sich in der ärztlichen Versorgung Berlins verdient gemacht zu haben. Er wird als Träger des Eisernen Kreuzes am weißen Bande erwähnt. jedenfalls hat die Gesetzlose damals an ihrem Teil mitgeholfen, daß man wieder auf eine Zukunft in Freiheit hoffen konnte. Buttmanns Eintragung in das Protokoll vom Ende des Jahres 1813 kam sicher aus vollem Herzen:

Vivat das Alte Jahr!
Vivat das Neue Jahr!

Auch noch 1814/15 hat mancher Gesetzlose dazu beigetragen, das Vaterland in eine, wie man wähnte, lichtere Zukunft hinüberzuführen. Die Jahre der Sammlung und Vorbereitung auf das große Werk, dann die des Aufbruchs der Nation - es sind die Frühjahre unseres Krei- ses - haben seine Pulse ungewöhnlich kräftig schlagen lassen. jedes der großen Ereignisse erlebte man innerlich mit und ergriff gern die Gelegenheit, in „außerordentlicher Versammlung“, obwohl sie in die regelmäßige Folge fiel, zu feiern. Am 23. Oktober 1813, „am Tage der frohen Nachricht von der Ankunft Sr. Mai. unseres Königs in Potsdam“ klingt die Freude über die Völkersclilacht bei Leipzig nach, von der der Monarch heimgekehrt war. Man hat den Sieg „am Tage, der da heißt Justus Lipsius, d. h. der gerechte Leipziger“, wie es ein paarmal im Protokollbuch heißt, noch bis in die 20er Jahre gefeiert, ebenso, nachdem man am 1. Juli 1815 „bald nach den ersten Nachrichten über die großen Ereignisse bei Belle Alliance“ zusammengekommen war, dieses Ereignis. Es geschah stets mit einer größeren Anzahl von Gästen. Aber auch der Schlacht bei Großgörschen wurde später wohl gedacht. Oder man vereinigte sich zur Feier der Tage vor und um Paris (30./31. März 1814). Sie wurde einmal (1817) durch den Besuch eines Gesetzlosen von Rang ausgezeichnet. Die Gesellschaft freute sich der erstmaligen Anwesenheit eines vorlängst anerkannten Mitgliedes, des Kgl. Staatsministers Freiherrn von Humboldt“.

Traten diese Tafeln im Zeichen historischer Ereignisse allmählich auch zurück, ein Festtag hob sich unvergessen durch Jahrzehnte aus der Reihe der üblichen Versammlungen heraus, Buttmanns „Geburts- und Ehrentag“, am 5. Dezember. Stets verschönte ihn eine größere Zahl von Gästen. Er erhielt im Jahre 1817 eine besondere Weihe durch die Überreichung eines silbernen Pokals oder Bechers. Ihn zierten auf der einen Seite griechische Distichen Boeckhs, des unvergleichliclien Philologen, der, mit Buttmann befreundet, 1811 als ein lange Zeit besonders tätiges Element unseren Kreis belebte. Die Verse lauten auf deutsch:

Zeptertragender König der Sterblichen sonder Gesetze, Kenner des leckeren Mahls, weisester Rat im Gelag, Deiner Verdienste gedenk und deines gewaltigen Schlachtrufs, Wenn du auch tosest und tobst, dir weiht den Becher dein Volk. Lab Dich, Herr, der du vieles erlebt und dir-h wacker bemüht hast An dem Gewächse des Rheins siebenjährig voll Duft.

Die Gegenseite trug Verse Schleiermachers:

Witz steht auf dem Becher wenig;
Trink, so findst du drinnen viel.
Und nie fehlt dir, Witzbold-König,
Unter uns ein würdig Ziel.

Ein im Zusammenhang damit erschienener Gelegenheitsdruck hat sich unter den Papieren der Gesellschaft erhalten. Er stammt höchstwahrscheinlich aus des braven Reimer Druckerei. Er hat uns diese Dichtungen überliefert, ebenso eine poetische Rede gleichen Datums von Ruehs. Sie schildert humoristisch Buttmanns Werden und Wesen und schließt mit dem Trinkspruch:

Laßt die Gläser hell erklingen!
Laßt ein Lebehoch uns bringen
Unserem wohlerprobten Freund!
Necken wir ihn heut mit Schwänken,
Wird er’s uns gewiß nicht schenken;
Doch ist es nicht arg gemeint!
Leben sollst du, treue Seele,
Gott erhalte deine Kehle,
Schreit sie uns das Ohr auch wund.
Magst du lange fröhlich grünen,
Frisch und frei mit Karolinen!
Darauf trink’ ich’s auf den Grund.

Dieses Jahr 1817 brachte der Gesetzlosen den Anschluß einer älteren Gesellschaft. Sie bestand im wesentlichen aus Militärs. Schon ein Jahr zuvor hatten 6 Offiziere den bisher ungewöhnlich schwachen soldatischen Bestand erhöht. Unter ihnen neben dem jugendfreund und nachmallgern Adjutanten Friedrich Wilhelms IV., dem Hauptmann Carl von Röder die Obersten von Pfuel aus uraltem kurmärkischem Geschlecht und der ihm befreundete Rühle von Lilienstern. jenem, einem Gefährten Heinrich von Kleists, und nach Jahns Wort: „der große Schwimmer und Schwimmschulenstifter“ werden wir noch als preußischem Ministerpräsidenten in bewegten Zeiten begegnen. Rühle, in Blüchers Generalstab bewährt, war schon damals als Schriftsteller hervorgetreten, u. a. durch sein .den kühnen politischen Idealismus des Soldaten“ und eine mannhafte Auffassung des Lebens offenbarendes „Buch vom Kriege“ und einen „Katechismus für die Landwehr“. jetzt war er der Chef der Abteilung für Kriegsgeschichte im neu eingerichteten großen Generalstab. Von jenem „Pairsschub“ von 1817 meldet das Protokoll: „Eine Gesellschaft, welche sich unter den Auspicien des Herrn Baron von Eichler und mittels Zuziehung mehrerer alt-gesetzloser Mitglieder in einer Reihe von Probe-Mahlzeiten zur Gesetzlosigkeit gebildet hatte, ward am 29. Matt. der gegenwärtigen einverleibt. Es geschah, wie es weiterhin heißt, „bei gemeinschaftlicher Feier des jahrestages der Einnahme von Paris“ und zwar „par un mouvement spontane“. Die Neulinge „wuschen vor aller Augen allen ihnen noch anklebenden gesetzlichen Wust durch viele Gläser Weines ab und beide Gesellschaften bilden nunmehro die Gesetzlose Gesellschaft Belle Alliance“. Als „2. Konstitution ohne Revolution“ sah Buttmann, scherzhaft politisierend, diesen Akt an.

Abgesehen von zwei Zivilisten, darunter dem Privatgelehrten und nochmaligem Kustos der Kunstkammer Dr. Friedrich Förster, dem stets freiheitlich gesinnten späteren „Hofdemagogen“, mit dem 1868 der letzte „Lützower“ starb, traten 12 Offiziere in die Reihen der Gesetzlosen. Sie hatten alle den Lorbeer des Befreiungskampfes um ihre Schläfen winden können. Dem Major Friedrich Eichler von Auritz, der als Mitglied der Militär-Studienkommission und als Adjutant des Kriegsministers in dessen Amt Dienst tat, und den wir schon als späteren Zwingherrn kennenlernten, haben die meisten seiner Schar in ihrer beruflichen Wirksamkeit weit übertroffen, wie der seit Jahren in den diplomatischen Dienst übergetretene, lange in Rußland tätige Generalmajor von Schoeler, der vielseitig, auch musikalisch begabte Oberst Job v. Witzleben, der durch ehrlichen Freimut ausgezeichnete spätere Generaladjutant Friedrich Wilhelms III. und Kriegsminister (an dessen Sommersitz am Lietzensee der Name eines Berliner Stadtteiles erinnert). Ob und inwieweit die Mitglieder der Eichlerschen Gesellschaft festwurzelten, bleibt ungewiß. Bezweifeln dürfen wir es bei dem jungen Hauptmann Leopold v. Gerlach, dem Führer der feudal-ständisch-legitimistischen und großdeutschen „Hofkamarilla“ unter Friedrich Wilhelm IV. Er kam doch aus anderen geistigen Bezirken als die meisten Gesetzlosen und trug die Keime des Pietismus ebenso in sich wie der schon erwähnte mit ihm in den Hofkreisen landende Carl v. Roeder. übrigens ist der mit Eichler in die Gesellschaft gekommene Oberstleutnant v. Lützow nicht, wie in der Festschrift der Gesetzlosen anläßlich ihres hundertjährigen Bestehens angenommen wurde, der Freischarenführer, vielmehr ein Kriegsmann, der sich einst vorübergehend Schill angeschlossen hatte und dann allerorten, wo gegen Napoleon gekämpft wurde, zu finden gewesen war, in Spanien, Rußland und Frankreich.

Die Versammlung, die nach Übernahme der Eichlerschen Gesellschaft stattfand, war ausgezeichnet durch die Anwesenheit eines am preußischen Reformwerk hervorragend beteiligten Mannes, des Generals der Infanterie Graf von Gneisenau. Der Major von Hüser (1816), als junger Offizier einst im Kreise der verschworenen Gegner des napoleonischen Regimes, führte ihn ein. Gneisenau „bewies sich als Mitglied und wurde sogleich anerkannt“. Kurz darauf folgten ihm 3 Oberpräsidenten, deren Namen in der Geschichte der preußischen Staatsverwaltung einen guten Klang haben: Merkel in Schlesien, v. Schön in Preußen und v. Vincke in Westfalen.

Aus den Gesetzlosen, die in den drei Jahrzehnten bis 1840 zur Ge- sellschaft kamen, mögen weiterhin herausgehoben werden ein paar Mit- glieder der Ministerien: der Vortragende Rat Johannes Schulze (1820) im Kultusministerium, der Althoff seiner Zeit, der langjährige Leiter des höheren Unterrichtswesens in Preußen und als solcher ein Neuhumanist bester Art, weiter der Staatsrat Körner (1815), Vater des Dichters, baldVortragender Rat im gleichen Ministerium. Ein Beamter alten Schlages war der vom Regimentsschreiber über den Posten eines Rechnungsrates in Hardenbergs Kanzlei zum Vorstand der Königlichen Bank und der Seehandlung aufgestiegene Christian Rother (1822), der spätere preußische Finanzminister und Gründer der Staatsschuldentilgungsverwaltung. In seinem Ministerium war, wie der Geheime Oberfinanzrat Kühne (1823), der meisterhafte Diplomat in allen Geschäften des Zollvereins, auch der um die Industrie des preußischen Staates hochverdiente Beuth (1821) tätig, dessen Gedächtnis bis in die letzte Kriegszeit das Denkmal auf dem Schinkelplatz wachhielt. Wie er wirkte über die ministerielle Sphäre weit hinaus der in dem für die Gesetzlose so fruchtbaren Jahre 1817 eingetretene damalige Geheime Oberbaurat Schinkel, der feinfühlige Gestalter des Berliner Baubildes. Mit ihm fanden sich einige der bedeutendsten Künstler zusammen. Die Bildhauer Christian Rauch (1818) und Friedrich Tieck (1820), die Maler Wilhelm Wach (1826), Johann Erdmann Hummel (1813), Karl Begas (1827), neben einem Original wie Samuel Rösel (1822), „einem munteren Gesellen und Spaßvogel“, dazu ein paar um Kunstpflege und Kunstbildung bemühte Männer wie Waagen (1823), der spätere Direktor der Gemäldegalerie, und Ignaz v. Oliers (1829), später der Generaldirektor der Museen, Schwiegersohn Staegemanns.

Eine sehr viel andere Färbung brachten vereinzelte Theologen in die Gesetzlose. Wir nennen den Hof- und Domprediger Sack (1820), den Propst von St. Petri Neander (1831), den liberalen Prediger Hoßbach (1824) von der Jerusalemer Kirche, den wohl sein Lehrer Schleiermacher eingeführt hat, und schließlich Buttmanns ältesten Sohn.

Am engsten war die Gesetzlose, abgesehen vom Heer, mit den oberen Gerichten und der Universität verbunden. Von den Kammergerichts- und Obertribunalsräten, auch den Geheimen Oberrevisionsräten strömte eine so stattliche Zahl in den drei Jahrzehnten, die wir hier im Sinne haben, zur Gesellschaft, daß man meinen könnte, es hätte fast zum guten Ton in dem damaligen Berlin gehört. Etwa ein Jahrzehnt nach dem nur zwei Jahre uns zugehörigen E. Th. Hoffmann (1820), der auch in der Reihe der Richter des höchsten preußischen Gerichts durchaus bestanden hat, und nach seinem Freunde und späteren Biographen, dem Kriminalrat am Kammergericht Hitzig (1822), begegnen wir dem gestrengen Vizepräsidenten Adolf v. Kleist (1832), dem „blutigen Kleist“, wie er in den Kreisen der von ihm verfolgten Demagogen der 30er Jahre genannt wurde. Es ist nicht von ungefähr, daß er einmal den Minister Hassenpflug als Gast einführte (1837), einen reaktionären Ultra, der als der „Hessen-Fluch“ unrühmlich in die Geschichte eingegangen ist. Gewinnendere Züge zeigt der Geheime Obertribunalsrat v. Winterfeldt (1835), einer der Begründer der modernen Musikgeschichte, in dessen Privatchor Jakob Burckhardt während seiner Berliner Zeit mitgesungen hat. Unter den Geheimen Oberrevisionsräten seien zwei hervorgehoben: v. Meusebach (1819) und Fischenich (1819), jener ein ausgezeichneter Kenner und Sammler der Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, ein - freilich etwas wunderlicher - Helfer der wissenschaftlichen Begründer der altdeutschen Philologie, dieser in Schillers jenaer Zeit dessen treuer Freund. 19berragt wurden beide durch einen ihrer Kollegen, den Altmärker Friccius (1 822). Kämpfer in vielen Schlachten der Freiheitskriege, hatte er am 19. Oktober 1815 als Major mit der ostpreüßischen Landwehr das Grimmaische Tor in Leipzig erstürmt. Er durfte dann mit der gleichen Hand, die tapfer den Degen geführt hatte, die Waage der Gerechtigkeit halten. Als Generalauditeur der Armee ist er der Chef des höchsten Militärgerichtshofes gewesen und auch der Schöpfer des preußischen Militärstrafrechtes geworden. Er ist eine der charaktervollsten Gestalten unter den damaligen Gesetzlosen.

Von dem geistigen Reichtum, der sich in den erwähnten Jahrzehnten an der Universität aufhäufte, ist der Gesetzlosen ein ansehnlicher Teil zugute gekommen und hat ihr inneres Leben befruchtet. Nach des Philosophen Solger (1811) frühem Tode ging bald strahlend das Gestirn Hegels (1818) auf. Er wie der ihm in der Weite der Wirkung gleichrangige Historiker Ranke (1834) sind nicht etwa als Meteore in der Gesellschaft vorübergezogen. Sie haben sich ihr vielmehr zeitweilig rege gewidmet, nicht weniger der schon erwähnte Boeckh, der langjährige Festredner der Universität, oder der Geograph Ritter (1823). Den juristischen Professoren, wie dem schon genannten Eichhorn (1811) und v. Bethmann-Hollweg (1823) reihen sich an Mediziner, z.B. der Anatom Rudolphi (1812), Naturwissenschaftler, der Astronom Encke (1826), der Zoologe Lichtenstein (1811), der spätere Begründer des Zoologischen Gartens, Mineralogen wie Weiß (1811) und Hoffmann (1833), der Botaniker Link (1816), weiter Meister der Statistik wie Hoffmann (1828) und Dieterici (1835).

Der gutsbesitzende Adel war nur ganz vereinzelt vertreten: v. Bredow auf Schwanebeck bei Nauen (1818), v. Hertefeld auf Liebenberg im Kreis Templin (1820) und v. Treskow auf Friedrichsfelde bei Berlin (1824), doch ist dieser bei der Nähe seines Gutes über ein Jahrzehnt häufig Besucher gewesen. Lose waren auch die Fäden zur Stadt Berlin geknüpft. Einige Gesetzlose betätigten sich als Stadtverordnete, darunter der rührige Reimer seit 1828. Er war seit 1831 auch unbesoldeter Stadtrat. Der schon mehrmals genannte Arzt Dr. Meyer war zugleich Stadtphysikus. Vom Magistrat hatten sich der Gesetzlosen angeschlossen die Bürgermeister Büsching (1811) und v. Baerensprung (1814), beide später Oberbürgermeister. Mit dem Berliner Bürgertum eng verbunden waren der Hofrat Friedrich Parthey (1818), der eine Tochter Nicolais heimgeführt hatte und die bekannte Buchhandlung weiterführte, sowie sein Sohn Dr. Gustav Parthey (1833), beide aus dem ehrwürdigen Patrizierhause in der Brüderstraße. Von den höheren Berliner Schulen hatten ein paar Direktoren zur Gesetzlosigkeit gefunden, wie Spilleke (1816) vom Friedrich-Werderschen Gymnasium, Meineke (1826) vom Joachimsthalschen und August (1831) vom Köllnischen. Zu dieser gewissermaßen berlinischen Schicht, die besonders eindringlich durch Reimer und die Partheys verkörpert wurde, wäre auch der Buchdrucker Decker (1834) zu rechnen.

In vollstem Sinne war zum Berliner geworden der Professor der Jurisprudenz Klenze (1823). Ihm gebührt als einem der unermüdlichstenMitglieder und als Verfasser der Festschrift zum 25jährigen Jubiläumeine kurze Würdigung. Aus dem Hildesheimischen stammend, hatte er zum Göttinger Kreis des Philologen Lachmann gehört. Er war seit jener Zeit an der Georgia Augusta dessen nächster Freund. Fast zur gleichen Zeit stießen sie, beide einst Freiwillige im Befrelungskampfe, zur Gesetzlosen, nachdem sie eine Professur an der Universität erreicht hatten. Klenze, ein Schüler Savignys, lehrte römische Rechtsgeschichte und Kriminalrecht. Der trotz seiner frühen Korpulenz ungewöhnlich hübsche Mann voll Geist und Leben, beredt, leicht aufbrausend, aber von Herzen gutmütig, ist schnell in unserer Gesellschaft festgewurzelt. Enge Beziehungen verbanden ihn außer mit Lachmann, der jahrelang Klenzes Wohnung teilte und ganz zur Familie gerechnet wurde, mit Buttmann, dessen Kinder er später als Vormund betreute. Schleiermacher, Boeckh, Meineke standen ihm ebenfalls nahe. Betätigung im öffentlichen Leben neben seiner fruchtbaren akademischen Tätigkeit - er war 1828 Rektor - galt ihm als selbstverständlich. So ist er einer der Gründer des Seebades Heringsdorf geworden (zusammen mit Willibald Alexis) und hat vor allem als mehrjähriger Stadtverordneter sich manches Verdienst erworben. Wäre einem städtischen Antrag stattgegeben worden, so trüge die heutige Lennéstraße seinen Namen. Rudolf v. Delbrück hat ihm in seinen Lebenserinnerungen ein Denkmal gesetzt. Durch seine Tochter ist Klenze der Großvater von Clemens v. Delbrück, des Staatssekretärs des Innern und Organisators der deutschen Kriegswirtschaft 1914/16 geworden.

Die Blüte der Gesetzlosen Gesellschaft, wie sie uns die eben angedeutete Vielfalt ihrer Mitglieder erweist, hatte sich zu entfalten begonnen unter der Sonne vaterländischer Ereignisse, die die gesamte Nation zu großen Hoffnungen hinrissen. Sie sind dann freilich zuschanden geworden, und gerade die Jahre unmittelbar nach dem Aufschwung, den die Gesetzlose 1817, wie wir sahen, erfuhr, bereiteten die große Wende in Preußen vor. Von dem nicht eingelösten Verfassungsversprechen des Königs im Mai 1815 geht ein verhängnisvoller Weg zu den im August 1819 verkündeten Karlsbader Beschlüssen. Fortan hemmten reaktionäre Einflüsse die innere Entwicklung. Die im Juli 1819 einsetzenden Demagogenverfolgungen zeitigten ihre traurigen Wirkungen.

Schon 1816 war das erste Anzeichen von politischer Verstimmung bei einem Gesetzlosen erkennbar. Der Professor der Rechte Karl Friedrich Eichhorn kehrte Berlin den Rücken. Noch konnte damals der schon genannte Mediziner v. Koenen, eines der ältesten Mitglieder, sich, freilich vom ärztlichen Standpunkt aus, sehr anerkennend für den Wert des politisch schon verdächtig werdenden Jahnschen Turnens einsetzen. Wenn dies ohne Folgen blieb, so deshalb, weil Koenen sich von einer höheren Stelle gedeckt wußte. Aber einigen der Besten in der Gesellschaft fiel ein anderes Los, als es für sie hätte erwartet werden dürfen, für Männer, die von redlichsten vaterländischer Gesinnung erfüllt und jedem „Demokratengeist“, wie ihn die Machthaber sahen, abhold waren.

De Wette, Schleiermacher, Reimer, um nur diese zu nennen, verfielen schlimmstem Verdacht und wurden in den Sog der Demagogenverfolgungen hineingezogen. Der Theologieprofessor de Wette, 1811 als 31jäh- riger zur Gesetzlosen gekommen, hatte nach der Ermordung Kotzebues durch den Studenten Sand im März 1819 einen Trostbrief an dessen Mutter geschrieben, in dem er die idealistische Wertung der Tat erwähnte. Er wurde bald darauf seines Amtes entsetzt und verließ Berlin. Schleiermachers Vorlesungen über Politik wurden schon 1817 verboten. Nach dem Sandschen Attentat verdächtigte ihn die Staatszeitung als Jakobiner. 1824 zogen sich neue Wolken über seinem Haupte zusammen. Das gleiche Schicksal lastete auf Reimer. Sein Haus in der Wilhelmstraße war einer der Orte, wo vaterländische Selbstbesinnung und Verantwortung zur Zeit der Fremdherrschaft zu Worte gekommen waren. jetzt sah man auch in dem aufrechten Verleger einen jakobiner, plagte ihn mit Haussuchungen, verbot ihm (1824) den Neudruck von Fichtes Reden „An die deutsche Nation“ u. a. mehr. Vielleicht war es der Mißmut über die politische Entwicklung, der am 18. Oktober 1819, also wenige Monate nach Verkündung der Karlsbader Beschlüsse, bei einigen Gesetzlosen patriotische Begeisterung um so stärker aufleben ließ. An jenem Tage hatte sich ein kleiner Kreis versammelt, der auf einem dem Protokollbuch eingeklebten Blatt als „gesetzmäßiger Auswuchs der Gesetzlosen Gesellschaft“ bezeichnet ist. „Vi conclusi“ waren die Teilnehmer beieinander: Buttmann, der wohl den erinnerungsreichen Leipziger Tag unbedingt gefeiert wissen wollte, ein paar Mitglieder, u. a. der Hauptmann v. Wussow (1818) - er ist erst 1870 als Generalleutnant und Schloßhauptmann von Stolzenfels gestorben - und der Justizkommissarius Balan (1814), dazu drei Gäste, von denen einer, der Kammergerichtsrat Scheffer, „bald gesetzlose wurde. Auf dem erwähnten Blatt findet sich ein vermutlich an der Tafel verlesenes Gedicht „Octoberträume“. Es schildert Gedanken des im Keller ruhenden alten Weines, wie sie zur Herbstzeit in ihm geweckt werden, und schließt:

Also auch wir! in den Octobertagen
Sind wir emporgeblüht,
Da drängt es uns zu singen und zu sagen,
Wie wir vordem geglüht.
Mit Gott! Für König! Vaterland! So trugen
Wir unsere Fahnen hoch.
Wir schwangen unsere Schwerter und zerschlugen
Zuerst das fremde Joch.
Und sollten wir auch Dreiundachtzger werden,
Freiheit heißt unser Wort!
Die Flamme glüht, wo nicht auf Bergesheerden,
Doch in dem Herzen fort.

(Zum vollen Verständnis sei bemerkt, daß Freudenfeuer am Tage der Leipziger Schlacht damals verboten wurden.)

Anscheinend von gleicher Hand, wie sie das Gedicht zeigt, ist im Protokoll anläßlich einer irrtümlich vor den 2. Oktober gesetzten Notiz, über den 16. vermerkt: „o möchte die Zeit fortfahren, rückwärts zu gehen“. Auch sonst ist Unzufriedenheit zu spüren. Ruehs gab dem in seiner poetischen Rede bei dem Geburtstag Buttmanns am 15. Dezember 1815 Ausdruck. Er sprach von Buttmanns früherer journalistischer Tätigkeit:

Als er die Zeitung schrieb für Haude und für Spener,
Wie mandien deutschen Mann hat nicht sein Kiel ergetzt,
Mit Kunde aus Paris und der Türkei geletzt!
Damals war goldne Zeit; es hatten die Zensoren
Noch nicht wie heutzutag die leidig feinen Ohren.
Wie ist die Zeitung kahl, beschnitten, ängstlich, matt!
Hingegen seine las sich wie ein Extrablatt.

Es waren freilich in der Gesellschaft auch Träger anderer Meinung: Der Vortragende Rat im Kultusministerium, Friedrich Schultz, den wir schon kennenlernten, der aber nur bis zu seiner Dispositionsstellung zu uns gehörte, war von einem wahren Verfolgungseifer gegen die Burschenschafter beseelt, und an den schon erwähnten Demagogenverfolger, der erst einige Jahre später zur Gesetzlosen kam, den „blutigen“ Kleist, darf noch einmal erinnert werden. Es ließen sich leicht noch mehrere nennen, die den „Reaktionären“ hinzuzuzählen wären. So hat Staegemann, der zunächst einer der am freiesten denkenden Vorkämpfer der Konstitution gewesen ist (von ihm stammt die Redaktion der königl. Verheißung von 1815), sich im Laufe der zwanziger Jahre, als die liberale Bewegung radikaler, lärmender und dringlicher wurde, in sei- nen politischen Anschauungen stark gewandelt. Immerhin wahrte er eine stets vermittelnde Haltung, ebensowie Johannes Schulze, der Geheimrat im Kultusministerium, sein Schulwesen in der unerfreulichen Zeit der Metternichschen Demagogenriecherei vor empfindlichem Eingriff hüten konnte.

Ob auch politische Gegensätze bei den Zusammenkünften spürbar wurden? Durch Takt wird Ernstlicheres vermieden sein. Einmal ist eine Spannung wenigstens zu ahnen. Von den Helfershelfern des Chefs der politischen Polizei, des Fürsten Wittgenstein, war einer der eifrigsten, der Direktor im justizministerium v. Kamptz, seit dem 5. Dezember 1812 Mitglied der Gesellschaft. Unter seinem damals eingetragenen Namen steht aber „ins Gesetz erklärt“, das bedeutet nichts anderes als die Streichung, den Austritt aus der Gesetzlosigkeit. Was mag vorgegangen sein?

Wenn wir uns weiter vergegenwärtigen, daß seit dem neuen Grundgesetz für den Deutschen Bund, wie es durch die Wiener Schlußakte von 1820 gegeben war, die Bemühungen um das preußische Verfassungswerk mehr und mehr zu erlahmen begannen, bis es schließlich ganz scheiterte, so ist damit der politische Hintergrund weiter gekennzeichnet, auf dem sich die Entwicklung der Gesellschaft im letzten Jahrzehnt, das wir hier im Sinne haben, im vierten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vollzog. Wir gäben viel darum, ließe sich feststellen, wie die Gesellschaft auf die einzelnen Phasen der politisch-wirtschaftlichen Zustände reagierte. Für uns ist nur der gleichbleibendefluß der geselligenzusammenkünfteerkennbar. Leider fließen die Quellen für sie, in denen sich das wirkliche Leben der Gesellschaft entfaltete, allzu spärlich. Die ersten Jahrzehnte hindurch fand man sich in 14tägigem Wechsel am Sonnabend um 2 Uhr zur Tafel ein. 1819 heißt es einmal, daß die Zusammenkunft um dreiviertel sechs beendet gewesen sei. Gelegentlich wurden die Freuden der Geselligkeit lange und ergiebig genossen. Einmal, am 30. März 1819, als man sich erst abends versammelt hatte, ist man bis zum 31. früh beieinander gewesen. Die durch den leiblichen Genuß angeregte Stimmung erhöhte sich, wenn einzelne ihren Geist spielen ließen, und es sind unter den Gesetzlosen jener Jahrzehnte nicht wenige geistreiche Männer gewesen, am ausgeprägtesten wohl Schleiermacher, in derberem Sinne Buttmann, dessen Ton bei der Tafel der Graeca (also entsprechend auch der Gesetzlosen) von dem jüngeren Parthey später einmal drastisch als mit stark gepfeffertem doppeltem Buttmannschnapse versetzt“ gekennzeichnet wird. Nicht alle werden ihrer Zunge in gleichem Maße freien Lauf gelassen haben. Aber an Lebendigkeit der Unterhaltung dürfen wir nicht zweifeln. Die allermeisten werden sicherlich wenig mit ihrem Gefährten, dem klassischen Philologen Immanuel Becker, gemein gehabt haben. Von seinen gesellschaftlichen Fähigkeiten wußte Schleiermacher zu sagen, „er habe die Kunst geübt, in sieben Sprachen zu schweigen“. Welch Gelächter muß es ausgelöst haben, als der Anatom Rudolphi den Zwingherrn, „dessen Kehle“, wie es im Kreis der Gesetzlosen hieß, „den anderen das Ohr wund schreiec, zur Ruhe mahnte, dieser sich darauf erhob und dem anderen mit metrischem Pathos die lateinischen Worte entgegenschleuderte: Quiesce, vesanum pecus (Ruh - toll - Vieh).

Gelegenheit zu einem guten Trunk nahm man gern wahr. So besuchte man sich einmal, als ein „Punschbivoak“ vorbereitet war, wechselseitig mit den im gleichen Lokal feiernden älteren Gesetzlosen, den späteren Zwanglosen. Etwa zur gleichen Zeit löste Unstimmigkeit bezüglich der französischen Bezeichnung des Sternbildes des Krebses eine Wette aus. Der Gelehrte Biester wollte, falls er verlöre, eine Flasche Rheinwein oder Champagner von unbestimmter Größe spenden. Dagegen verpflichtete sich der Legationsrat v. Balan zu 10 Flaschen gleicher Sorte. „Die Gesellschaft versprach ehrlich mit zu teilen und wünschte Herrn Biester den besten Erfolg“, steht im Protokollbuch. Die Wette ging dahin aus, daß „beide Wetter (concertatores, nicht tempestates) ihre Wettgegenstände“ an die ganze Gesellschaft entrichteten. Wenn ein Teilnehmer allzulange fern geblieben war, so mußte er „auch wegen möglicherweise angenommener Gesetzlichkeit Quarantaine am Ende des Tisches“ halten, wie es 1820 „Aloysius Hirt, genannt der Hofrat“ erging. Auch sonst ließ Buttmann, wo er konnte, seiner Laune die Zügel schießen. Zwei Tintenkleckse im Protokoll vom 16. Mai 1818 mußten ihm dazu dienen, nach beider Umrandung als Krater zu gelten auf einer, wie die Beischrift besagt, „Insel aus der neuesten noch nicht edierten Reise des Herrn von Buch“. Das war der schon genannte große Geologe und Gesetzlose.

Der Gaststätten, an denen sich die Gesellschaft beim feierlichen Klang der Freude und auch zu manchem ernsten und sorgenvollen Wort vereinigte, waren im Laufe der Zeit viele. In jenen ersten Jahrzehnten und noch bis mindestens 1875 liebte man es, sommers und winters zu wechseln. Im Sommer kam man außerhalb der damals noch mauerumzogenen Stadt am Rande des Tiergartens zusammen. In den ersten Jahren wurde eine Gaststätte in dem zwischen Friedrich-Ebert-, Lenné- und Bellevuestraße gelegenen sogenannten Schulgarten gewählt, in einem ehemals zur Kgl. Realschule gehörigen Botanischen Garten. Das war freilich ein etwas ominöser Ort; denn vor seiner schulischen Bestimmung hatte er als Begräbnisplatz für die in dem Kgl. Anatomischen Theater sezierten Leichen gedient. Übrigens hatte die Parzellierung des Schulgartengeländes, der Gesetzlose Klenze als Privatunternehmen durchgeführt. Zwischendurch fand man sich ein paarmal in dem Rexschen Garten zusammen (es wird der Frhr. v. d. Recksche Garten in der Leipziger Straße 3 gewesen sein, also der Platz des späteren Herrenhauses), gelegentlich auch bei dem nicht feststellbaren „Burtheaux im Thiergarten“. Seit 1814 wurde „Kämpfer im Thiergarten®, der damals vielbesuchte Kempersgarten oder Kemperhof, das Sommerquartier. Er lag etwa da, wo später die Viktoriastraße zum Schnittpunkt der Tiergarten- und Bellevuestraße durchgeführt wurde, gegenüber der Wegkreuzung, die 1858 danach den Namen Kemperplatz erhielt. In den dreißiger Jahren heißt es in den Aufzeichnungen bei Günther im Tiergarten“. Es ist aber nichts anderes als der Name eines neuen Wirtes vom Kemperhof. Einmal, im August 1830, wird das Tivoli am Kreuzberg genannt. Zu diesem 1829 eröffneten, modernsten Vergnügungspark Berlins hatte wohl mehr die Neuheit als die Gastronomie gelockt. Daß die dortige von den Berlinern auch der besten Kreise viel benutzte Rutschbahn auch Schleiermacher, Reimer, Friccius, die damals sicher auf Tivoli waren, auf ihren Wägelchen sah, möchten wir nicht unbedingt anzweifeln. übrigens waren die damaligen Monate August bis November von einer fürchterlichen Choleraepidemie begleitet, die jedoch den regelmäßigen Lauf des gesetzlosen Lebens nicht zu beeinträchtigen vermochte.

Jene Tiergartenversammlungen boten zuweilen einen besonderen Reiz, weil sie das Tafeln im Freien ermöglichten. Es geschah nicht immer zur allgemeinen Freude, wenn nämlich die Witterung kühler wurde. Aber wenigstens zu Buttmanns Zeit wurde an dem Brauche möglichst festgehalten. So einmal am 30. September 1820. „Wegen des sehr gelungenen letzten Mahles unter freiem Himmel wurde von der stillen Mehrheit beschlossen, heute, den 30. September, abermals in demselben gro- ßen Saale zu speisen. Für die wie gewöhnlich sehr laute Minderheit, bestehend aus den Herren Alberti, v. Koenen und v. Staegemann, war ein Tischchen in dem benachbarten Saale am Fenster gedeckt. „Das Wetter war, wie sich’s gebührt, und in der Luft flog zu Ehren nur besagter drei Herren der Altweibersommer in Menge umher.“ Bei der unmittelbar folgenden Gesellschaft am 18. Oktober, einem Tage, den Buttmann, wenn irgend angängig, noch außerhalb der Stadt feierte, mußte er freilich klein beigeben. „Eine zur Feier des 18. Oktobers abermals beschlossene freie Himmelsfeier wurde durch Verschwörung einiger Astronomen vereitelt. Wegen einiger Regentropf en fand die Mehrzahl der Kombattanten nicht geraten, unter freiem Himmel zu fechten. Alle zogen sich ins Lazareth zurück und der General folgte ihnen. Die Ausdrücke Kombattanten, fechten usw., zeigen, wie die damalige Gesetzlose oder doch mindestens ihr Zwingherr das gesellige Tun gelegentlich unter dem Eindruck der großen kürzlich erlebten kriegerischen Ereignisse mit militärischen Namen belegte. Man sprach wohl auch vom Schluß der Sommer-Campagne im Tiergarten, vom ..Bivouac in Kempers Saal“ (1824). t3brigens ist noch bis in die siebziger Jahre im Protokoll von „Eröffnung der Winter-Campagne“ die Rede. Wenn es anging, wurde nach dem Essen abends um ein Feuer im Kemperschen Garten Kaffee getrunken.

Der Winter sah die Gesetzlosen in der Stadt, doch können wir aus Mangel an Quellen hier kein ganz genaues Bild gewinnen. Bis in die ersten Jahre des 3. Jahrzehnts traf man sich meist in der Börsenhalle im Lustgarten, wo ein ausgezeichneter Wirt (es heißt hier und da „bei Bandeiner“) wartete, daneben vereinzelt im Casino Charlotten-, Ecke Behrenstraße, auch im Englischen Hause in der Mohrenstraße 49, einmal bei dem Hoftraiteur Jagor Unter den Linden 23 (anstelle der späteren Passage). Auch bei dem Restaurateur Simon im ältesten Teil der Stadt am Köllnischen Fischmarkt Nr. 4 Ecke Roßstraße wurde ein Versuch gemacht. Am 7. Oktober 1826 kam man erstmals bei Beiermann Unter den Linden 44, im Café Royal, zusammen. Hier war einige Jahre, bis zum 11. März 1831, die Stätte der gesellschaftlichen Freuden. Sie wurde 1832 durch das „Café National bei Herms“, dem früheren Jagor, abgelöst. Seit 1833, also etwa seit Beginn von Staegemanns Zwingherrschaft, fehlen alle Angaben für den Winter.

Manche der eben erwähnten Gaststätten haben im Berlin jener Jahr- zehnte einen besonders guten Klang gehabt. So zeichnete sich z. B. Jagor, etwa dem späteren Hiller oder Borchardt vergleichbar, durch Eleganz und vorzügliche Bewirtschaftung aus. Eine Speisekarte von 1830 verrät uns, daß man dort eine Portion frischen Kaviars für 10 Sgr. haben konnte, 12 Austern für 22 Sgr., Pute für 9 Sgr. Von Weinen kostete ein 22er Hochheimer 1 Tlr. 15 Sgr., ein 25er Markobrunner 2 Tlr. 15 Sgr., ein Elfer Steinwein immerhin 3 Tlr. 15 Sgr.

Den wahren Inhalt erhielt die Geselliokeit durch die Menschen. Dazu gehörten in viel höherem Maße als später die Gäste. Sie wurden oft in großer Zahl eingeführt, kaum, daß sie einmal fehlten. Von Ende März 1810 bis Ende Dezember 1934 sind ihre Listen erhalten; denn sie trugen sich ebenso wie die Einführenden in das Protokoll handschriftlich ein. Welche Fülle von Autographen! Die Gäste schieden sich in zwei Gruppen: in Einheimische, die häufig in der Folge Mitglieder wurden, und in solche, die sonstwoher zu irgendwelchen Zwecken in die Hauptstadt gekommen waren. Hiesige Verwandte, Freunde, Berufsgenossen führten sie ein. Seit den Befreiungskriegen stieg die Zahl der militärischen Gäste erheblich, wie wir ja Offiziere nun auch als Mitglieder be- reits kennenlernten. Nur einer unter diesen Gästen sei genannt: York v. Wartenburg. Der Kunsthistoriker Waagen hat den alten Herrn am 9. August 1828 in unseren Kreis geführt. Einmal war ein ausländischer Offizier zugegen: 1811 der Baron Pfeif aus Schweden, Kapitän im Regiment Södermannland, eingeführt von Ruehs, der aus dem damals noch schwedischen Greifswald stammte. Aus der höchsten Beamtenschaft begegnen z.B. 1816 der „Herr Staatsminister Freyherr von Altenstein“, der ein Jahr hernach der erste Chef des neuen preußischen Kultusministeriums wurde, und 1825 Se. Eczellenz der Herr Großkanzler v. Beyme, der seine politische Rolle freilich längst ausgespielt hatte. In den ersten Jahren, als die Arbeit an dem Neubau der preußischen Verwaltung im Gange war, häufen sich geradezu die Besuche von Beamten, die offenbar dienstlich in Berlin in den Ministerien zu tun hatten. Vor der Rückkehr der preußischen Regierungsorgane nach Berlin kommen sie besonders zahlreich aus Ostpreußen, der zeitweiligen Zuflucht der Staatsführung. Hernach sind es die Berliner Ministerien, die die Beamten aus den Provinzen nach der wieder in ihrer alten Stellung gefestigten Hauptstadt ziehen. So werden von dem Frhr. v. Vincke, dem Oberpräsidenten von Westfalen, selbst einem alten Gesetzlosen, vielfach Beamte und andere aus dem Lande der Roten Erde eingeführt, einmal (1820) der Regierungsreferendar v. Bodelschwingh aus Münster. Es ist derselbe, der später als Minister in den schweren Märztagen von 1848 den König umsonst zur Einführung einer konstitutionellen Verfassung zu bewegen suchte und dann am 19. März den folgenschweren Befehl Friedrich Wilhelms IV. weitergab, die Truppen von den Barrikaden zurückzuziehen. Die interessanteste Erscheinung in diesem Vinckeschen Kreise ist der Domdechant aus Münster, Graf von Spiegel, der die Gesetzlose von 1817 bis 1820 mehrfach aufsuchte, ganz ein Prälat aus der alten aristokratischen Schule, als Erzbischof von Köln (seit 1825) frei von dem konfessionellen Eifern seines Nachfolgers Droste. Einer der frühesten Gäste war der Präsident Maaßen aus Potsdam, der Reformer des preußischen Steuer- und Zollwesens. 1833 brachte er den Zollverein zum glücklichen Abschluß. Auch der Chefpräsident von Hippel aus Marienwerder tauchte auf, der einst im März 1813 als Staatsrat den Aufruf „An mein Volk“ entworfen hatte, ebenso der Regierungspräsident v. Flottwell, Hippels Nachfolger in Marienwerder, bald darauf als Oberpräsident nach Posen berufen und dort der Förderer eines gediegenen deutschen Siedlungswerkes. Gegen Ende unseres Zeitraumes kommt mit dem Handelsrichter und Stadtrat v. d. Heydt aus Elberfeld einer der neuen Männer mit den Gesetzlosen in Berührung, 13 Jahre später im Ersten Vereinigten Landtag einer der fahrenden Liberalen und von Dezember 1848 bis in die Bismarckzeit hinein Handels- und schließlich Finanzminister. übcr die Bismarcksche Zeit hinaus weist durch seinen Sohn der Kreisjustizrat v. Caprivi (1835) aus Glatz. Es ist der Vater von Bismarcks Nachfolger.

Ausländer wurden mehrfach geladen, vornehmlich von Leopold v. Buch, Schweizer, Mexikaner. Auch Russen und Engländer sind vertreten. Sehr oft führen Schleiermacher und Reimer Gäste ein. Beide hatten einen ungewöhnlich großen Freundes- und Bekanntenkreis. Bei Schleiermacher sind es vielfach Geistliche. Se. Hochwürden Herr Bischof Dr. Eylert, der Seelsorger Friedrich Wilhelms III., kommt aber 1829 durch andere Verbindungen zu uns. Reimer führt fast alle damals bedeutenden Vertreter des deutschen Buchhandels ein: Brockhaus und Hirzel aus Leipzig, Perthes aus Hamburg, Schwetschke aus Halle, Cotta aus Stuttgart. Auch der Buchhändler Frommann aus Jena taucht auf.

Von Männern der Dichtung und Kunst begegnet uns der Kapellmeister Job. Friedr. Reichardt, der Schwiegervater und Schwager von Gesetzlosen, dessen Kompositionen viel zu der Volkstümlichkeit Goethe- scher Lieder beigetragen haben. Sein Haus in Giebichenstein bei Halle wurde zu einem Mittelpunkt der Romantiker. Von ihnen mögen wenigstens Clemens Brentano (1817) und August Wilhelm Schlegel (1827) als Gäste erwähnt werden. Auch Carl Maria v. Webers (1816) ist zu gedenken, damals noch Kapellmeister in Prag, wenige Jahre darauf vom Ruhme seines „Freischütz“ umleuchtet. Seine Oberonmusik ist erstmals 1827 im Hause Staegemanns erklungen. Neben den Musikern stellte sich ein der Historienmaler Peter Cornelius (1820) aus München, der 1843 selbst Gesetzloser wurde, weiter Chamisso, von dem Botanikerkollegen Link eingeführt, ferner sein Bruder in Apoll, Wilhelm Müller (Griechen-Müller) aus Dessau, der Dichter des Wanderns wie Eichendorff und der Winterreise. Wie diese uns noch heute durch Schuberts Tondichtungen vertraut ist, so sind es auch die „Müllerlieder“, die im Staegemannschen Hause anläßlich der Aufführung von Singspielen entstanden sind. Vorbild der schönen Müllerin“ ist Staegemanns Tochter Hedwig, die spätere Frau v. Olfers, gewesen. Auch der Breslauer August Kopisch bewegte sich zeitweilig im Kreise der Gesetzlosen, zunächst Maler und als solcher Entdecker der Blauen Grotte von Capri, dann auch Verfasser von Balladen und episch-humoristischen Gedichten. Ganz anderer Art war der im märkischen Boden verwurzelte Dichter Dr. Häring, der, 1835 einmal durch Klenze eingeführt, bei seiner Eintragung den bekannten Dichternamen „Wil(libald) Alexis“ hinzusetze.

Ein einziges Mal (1820) geistert mit dem 72jährigen Günther v. Göcking der Vertreter einer längst verflossenen Zeit hinein. Man möchte sich ihn fast noch mit dem Zöpfe vorstellen. Der alte Herr Oberfinanzrat hatte in seinen Jugendtagen, wenn auch nicht zum Göttinger Hainbund gehört, aber doch mit Bürger den Göttinger Musen-Almanach redigiert und hatte Vater Gleim und dem alten Berliner Aufklärer Nicolai nahegestanden. Nicht von der Gunst der Musen getragen, aber als Sohn seines Vaters findet der Kammerrat v. Goethe aus Weimar 1819 einmal Zutritt durch seinen angeheirateten Vetter, den Staatsrat Nicolovius aus der Reihe der frühesten Mitglieder der Gesellschaft. In seinem Reisetagebuch notierte der Gast: Sonnabend, den 15. Mai war ich ... zum Mittagessen im Tiergarten in der sogenannten Gesetzlosen Gesellschaft, deren Vorsteher Buttmann ist, welchen ich auch kennenlernte. Auch dem alten Geheimrat Heim, dem Arzt, wurde ich vorgestellt. Es waren mit den Gästen etwa 40 Personen. Es dauerte bis dreiviertel sechs Uhr. Auch zwei Nachkommen der Frau v. Stein erschloß sich die Gesetzlose: 1820, ebenfalls durch Nicolovius, ihrem Sohne Fritz, Goethes Zögling, damals General-Landschafts-Repräsentant in Breslau, 1831 ihrem im Berliner Konsistorium tätigen und von Staegemanns Schwiegersohn v. Olfers eingeführten Enkel, Regierungsrat Freiherrn v. Stein-Kochberg. In seine Hände sind ein Jahrzehnt später von einem älteren Bruder die bedeutungsreichen Goethebriefe gelegt worden.

Bei dem Schwergewicht der Professoren in den Frühtagen unserer Gesellschaft finden wir natürlich Gelehrte unter den Gästen in Mengen. Wir nennen nur einige wenige der bedeutendsten. Sie kamen, meist durch Berliner Kollegen eingeführt, von draußen, wie der weltberühmte Königsberger Astronom Bessel (1819) oder der Gießener Archäologe und Mythologe Welcker (1815), der Jenaer Naturforscher Oken (1811), der Mediziner Billroth aus Halle (1835), der Physiker Wilhelm Weber aus Göttingen (1828), der Germanist Jacob Grimm aus Kassel (1840). Andere waren kürzlich nach Berlin berufen, früher oder später fand mancher für immer den Weg zu uns, so der schon erwähnte Klenze. Auch der Historiker Leopold Ranke sei hier genannt, 1825 erstmalig und dann öfter Gast, bis er 1834, eben ordentlicher Professor, zu uns getreten ist. Er stand damals an der Schwelle seines Weltruhms.

Wie wir unserer Gesellschaft aus den Kreisen der städtischen Verwaltung kaum Mitglieder zuwachsen sahen, blieb auch die Zahl der Gäste aus diesen Reihen verschwindend gering. Und doch hätte Reimer, ein eifriger Verfechter stadtbürgerlicher Interessen, leicht die Brücke schlagen können. Immerhin fanden sich der Stadtsyndikus Rehieldt, auch ein paar Stadträte (de Cuvry, Keibel, Knoblauch), der Stadtverordnete Wimmel, in den zwanziger Jahren gelegentlich als Gäste ein, einmal 1834 auf Reimers Einladung der Oberbürgermeister Krausnick. Auch weiterhin haben städtische Beamte nicht recht bei uns Fuß gefaßt.

Verwunderlich wäre es gewesen, wenn der eitle und nachrichtenlüsterne Varnhagen nicht häufig seinen Weg zu den Gesetzlosen genommen hätte. Er ließ dort vielleicht weniger seiner Zunge freien Lauf, um so mehr konnte er Stoff für seine Tagebücher sammeln und für die Unterhaltungen im Salon seiner Frau. Trotz seines anfangs engen, schließlich freilich brüchigen Verhältnisses zu Staegemann ist er nie in die Gesetzlose gewählt worden.

Ein paar Gestalten unter den Gästen mögen zum Schluß kurz gestreift werden: der Regierungsrat Haeckel, kein anderer als der Vater Ernst Haeckels, kam oftmals aus Potsdam herüber, selten hingegen der Gartendirektor Lenné. Von 1817 an hat die Gesetzlose vielfach der Landrentmeister Louis Vogel besucht. Mit ihm tritt uns der Gatte jener unsellgen Frau entgegen, die zusammen mit Heinrich v. Kleist ihrem Leben ein Ende machte. Welch boshafte Schicksalsführung, daß Vogel beim ersten (1817) seiner vielen Besuche mit einem Rittmeister aus der Kleistschen Familie an der Tafel saß! Und schließlich 1820 ein 74jähriger Obrist! Er war 1763 als 17jähriger Junker in ein Kürassierregiment eingetreten, hatte in den Revolutionskriegen die Kanonade v. Valmy mitgemacht, war aber bereits 1806 außer Dienst und lebte auf seinem Gute in der Prignitz. Er trug einen in der brandenburgischen Geschichte bekannten Namen: v. Quitzow. Mit ihm ist der Mannesstamm des Hauses in der Mark erloschen.

Festlust war der Gesetzlosen eingeboren, sogar eine „halbvierteljahrhundertige Jubelfeier“ erkühnte sich Buttmann am 9. November 1822, also nach Ablauf von 13 Jahren, zu begehen. Viel festlicher beging man natürlich 1834 das 25jährige Bestehen. Doch nicht am eigentlichen Gründungstag, am 4. November, sondern in pietätvollem Gedenken an den damals bereits verstorbenen Buttmann, an seinem Geburtstag, am 5. Dezember. Nicht weniger als 21 Gäste konnte der Zwingherr Staegemann begrüßen. In einer Festschrift von 30 Seiten

Ph. Buttmann und die Gesetzlosen

Am 4. November 1834
5. Dezember

Statt Handschrift für die Mitglieder der Gesetzlosen Gesellschaft zeichnete Klenze, einer der Treuesten, meisterlich Werden und Wesen des Kreises in der ihm eigenen schlichten und gerade dadurch so eindrucksvollen Weise. Es gelang ihm aufzuzeigen, welchen höheren Wert auch ein so unscheinbares Ding, wie eine gesetzlose Gesellschaft ist, haben kann“. Neben Dokumenten zur Geschichte der Gesellschaft enthielt die Schrift eine Namensliste der Mitglieder von 1809 bis 1834. Reimer hatte ... »Sich erboten, so wenig er auch von anderen einen Druck erleiden mag, seinen Druck freundwilligst dazu herzugeben«.

Ein so hohes Lied Klenze auch auf die Gesetzlose sang, er betrachtete doch mit Sorge die innere Entwicklung des Kreises. Die richtungweisenden Individualitäten unter den Mitgliedern begannen nach seiner Meinung seltener zu werden. „Eine gehaltlose und äußerliche Gleichförmigkeit“ scheint ihm die Zeit heraufzuführen. „Wie gut einer auch ausgerüstet ist, wie viel er getan hat, seine Gaben auszubilden . . . tut er es nicht auf seine eigentümliche Weise, so wirkt er nichts. Eine einzige mit mäßigen Gaben ausgerüstete, aber wahr in den Grenzen und in den For- men ihres eigentümlichen Wesens ausgebildete menschliche Erscheinung weckt und befruchtet mehr als eine ganze Sozietät von Menschen, die mit trefflichen Gaben ausgerüstet, durch alle Examina unserer bürgerlichen Welt mit Ehren glücklich hindurchgekommen, auf dem Wege dahin aber das verloren oder erstickt haben, was ihnen in anderer Weise verliehen ist als anderen“, d.h. die Ansätze zur Entwicklung einer eigengewachsenen Persönlichkeit. Noch ist damals nicht eingetreten, was Klenze sorgend heraufziehen sah. Und doch ist die Gesetzlose diesem Schicksal nicht ganz entgangen, wenn auch erst nach etwa einem Menschenalter.


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Letzte Änderung: 25.04.2024
© Herbert Voß
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